Die Welt bereisen, in fremde Kulturen eintauchen, eine neue Sprache lernen und dabei noch Gutes tun? Dies versprechen sich immer mehr Menschen vom Freiwilligendienst im Ausland oder Voluntourismus. Vor allem bei Abiturienten und frisch gebackene Uniabsolventen setzt sich der Trend zur internationalen ehrenamtlichen Hilfe immer mehr durch. Pro Jahr entscheiden sich über eine Million Menschen zwischen 20 und 25 Jahren für ehrenamtliche Art im Ausland. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Bereichen und Ländern, in denen Freiwilligendienst angeboten werden. Doch gute Absichten sind leider nicht zwangsläufig auch wirklich immer gut. Wenn Ihr Euch für Voluntourismus interessiert, solltet Ihr Euch im Voraus über die Pro- und Contra-Seiten informieren. Nur so könnt Ihr Euch auch sicher sein, dass Eure Hilfe nicht nur gut gemeint, sondern auch wirklich gut gemacht ist.

Voluntourismus Kritik & Chancen

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Freiwilligenarbeit



Voluntourismus vs. Freiwilligenarbeit

Obwohl die beiden Begriffe teilweise synonym verwendet werden, gibt es entscheidende Unterschiede zwischen dem Voluntourismus und der Freiwilligenarbeit. Das Wort Voluntourismus setzt sich zusammen aus dem englischen Wort „volunteering“, übersetzt „ehrenamtlich“, und dem deutschen Wort Tourismus. Es ist quasi eine Kombination aus Freiwilligenarbeit und Urlaub. Jedoch stehen beide Begriffe nicht gleichwertig nebeneinander: Der Fokus bei diesem Reisetrend liegt ganz klar auf dem Abenteuer- und Erlebnisfaktor des Reisens. So bildet ein Großteil des Programms beispielsweise das Herumreisen im Land, Freizeitaktivitäten und Sightseeing-Touren. Ehrenamtliche Arbeit ist ein sekundärer Bestandteil und nimmt zeitlich meist nur einen geringen Part beim Voluntourismus ein. Bei der Freiwilligenarbeit verhält es sich genau umgekehrt: Hier stehen nicht die Bedürfnisse des Reisenden im Mittelpunkt, sondern das gemeinnützige Engagement vor Ort. Projekte im Freiwilligendienst sind deshalb auch auf mehrere Monate ausgelegt. Freiwillige können dadurch intensiv eingelernt und einbezogen werden und so effektiv und nachhaltig Hilfe leisten.

Unterschiede auf einem Blick

Voluntourismus

  • Erlebnisfaktor des Reisenden steht im Vordergrund
  • Fokus auf Rundreisen, Sightseeing und Freizeit
  • Hilfsprojekte nehmen nur einen geringen Part ein (weniger als 50%)
  • Einsatz möglich ab einem Tag
  • Großteil der Anbieter arbeitet kommerziell

Freiwilligendienst

  • Ehrenamtliches Engagement im Fokus
  • Hilfsprojekt ist zentraler Bestandteil des Auslandsaufenthalt
  • Einsatzzeit über mehrere Monate bis Jahre
  • Geregelter Freiwilligendienst, staatliche Förderung möglich

Projekte

Wer sich freiwillig im Ausland engagieren möchte, kann dies, je nach Land, in unterschiedlichen Bereichen tun. In der Regel werden Projekte von Nichtregierungsorganisationen, kurz NGOs, bzw. Non-Profit-Organisationen angeboten. Im Fokus aller Projekte stehen primär soziales und ökologisches Engagement. Dazu zählen die Lebenssituation der einheimischen Bevölkerung zu verbessern, bei Entwicklungsprojekten zu unterstützen oder Maßnahmen zum Schutz der Umwelt umzusetzen. Prinzipiell lässt sich der Großteil der möglichen Projekte in folgenden Bereichen finden:

  • Bildungsarbeit, z.B. in pädagogischen Einrichtungen, als Lehrkraft, etc.
  • Kinder- und Jugendhilfe, z.B. in Waisenhäusern
  • Landwirtschaftsprojekte, z.B. Aufforstungsprojekte
  • Tierschutz, z.B. in Tierauffangstationen, zum Schutz gefährdeter Tierarten, etc.
  • Umwelt- & Marineschutz, z.B. Korallenaufzuchtprogramme
Voluntourismus Schildkröte Tier

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Länder

Ein Großteil des Freiwilligendienstes bzw. des Voluntourismus wird in sogenannten Entwicklungsländern organisiert. Die dort herrschenden politischen und wirtschaftlichen Zustände manifestieren für den Großteil der dortigen Bevölkerung ein Leben in Armut. Der Wunsch, diesen Menschen durch entwicklungspoltisches Engagement zu helfen, ist insbesondere für uns Menschen im Westen besonders groß. Neben afrikanischen Ländern, zählen aber auch für uns klassische Fernreiseziele, wie Bali in Indonesien, die Philippinen oder Vietnam, zu den sogenannten Entwicklungsländern. Diese werden vor allem im Rahmen des Voluntourismus angeboten, da das Potenzial einer „Abenteuerreise“ von Voluntouristen hier besonders hoch eingeschätzt wird. Prinzipiell sind jedoch auch in Europa Projekte im Rahmen von Voluntourismus und Freiwilligendiensten möglich. Diese sind vorwiegend in ökologischen Bereichen angesiedelt.

Voluntourismus – Pro & Contra

Wer sich für einen Aufenthalt im Ausland entscheidet, tut dies aus unterschiedlichen Gründen. Tatsächlich kann die Selbstreflexion darüber, was man sich durch die Teilnahme an einem sozialen Projekt im Ausland erhofft, bereits die Frage nach den Vor- und Nachteilen des Voluntourismus zum Teil beantworten. Das Bedürfnis neue Kulturen kennen zu lernen, authentische Erfahrungen zu sammeln und dabei auch noch etwas Gutes zu tun, kann den Blick auf die Realzustände trüben. Aus diesem Grund ist es wichtig, sich nicht nur zu fragen „Was erwarte ich von dieser Reise?“, sondern auch:

„Welche Auswirkungen können mein Handeln in dem konkreten Umfeld auf die betroffenen Menschen und auf lokaler und nationaler Ebene haben?“

Allgemeine Kritik am Voluntourismus

Unabhängig vom jeweiligen Projekt beklagen deutsche und internationale Wohltätigkeitsorganisationen den aufstrebenden Trend zum Voluntourismus. Die Auflagen der Reiseveranstalter und -anbieter sind nicht einheitlich und im Vergleich zum Freiwilligendienst sehr niedrig angesetzt. Dies führt dazu, dass Voluntouristen oftmals gar nicht qualifiziert sind. Durch unzureichende Personenkontrollen kann zudem kein Schutz, beispielsweise bei der Arbeit mit Kindern, gewährleistet werden. Folgende Argumente werden allgemein gegen den Voluntourismus angebracht:

Argumente gegen Voluntourismus

  • Keine fachlichen Vorkenntnisse notwendig
  • Keine Sprachkenntnisse notwendig
  • Keine Einführungskurse
  • Positives Erlebnis des Reisenden im Vordergrund
  • Gewinnorientierung der Reiseveranstalter
  • Kurze Einsatzzeit
  • Kein polizeiliches Führungszeugnis erforderlich

Kritik am Waisenhaus-Tourismus

Insbesondere bei der Zusammenarbeit mit Menschen stößt der Voluntourismus an seine Grenzen. Die kurze Einsatzzeit, mangelnde Qualifikationen und fehlende Überprüfung der Personen bergen ein erhebliches Risiko. Für Voluntouristen gehört beispielsweise die Arbeit mit Kindern im Allgemeinen und der Einsatz in Waisenhäusern im Speziellen zu einen der nachgefragtesten Projekte. Trotz größtem Wohlwollen sind gerade Kinder im System Voluntourismus die Leidtragenden. Das Reiseportal fairunterwegs.org hat in einer Studie folgende Kritikpunkte aufgestellt:

  • Risiken von Entwicklungs- und Bindungsstörungen bei Kindern: Durch ständig wechselnde bzw. dem Fehlen dauerhaft verlässlichen Bezugspersonen weisen Kinder aus Waisenhäusern überdurchschnittlich oft psychische Störungen wie Hyperaktivität und Bindungsauffälligkeiten auf.
  • Gefahr von Kinderhandel und Korruption: Die zunehmende Nachfrage nach Projekten in Waisenhäusern ging mit einer Steigerung von Kinderheimen einher. Das Perfide: In Kambodscha haben 85% der in Heimen lebenden Kinder mindestens noch einen lebenden Elternteil. Von den Waisenhäusern werden 70% ohne staatliche Registrierung von Einzelpersonen geführt. Die Leiter „locken“ die Eltern mit besseren Wohn- und Bildungschancen für ihre Kinder. Die Realität sieht leider oftmals anders aus.
Voluntourismus Kinder Waisenhaus

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Seriöse Anbieter erkennen

Auf dem Markt zwischen Voluntourismus und Freiwilligendienst tummeln sich zahlreiche Anbieter, die mit vermeintlich seriösen Projekten weltweit werben. Wer ein bestimmtes Land bereisen möchte, kann sich über die dort angebotenen Projekte informieren und inspirieren lassen. Wer ein bestimmtes Projekt vor Augen hat, findet dort eine Auswahl an Ländern, in denen diese durchgeführt werden können. Zugegeben: Auf den ersten Blick wirken alle Anbieter seriös. Hier die Spreu vom Weizen trennen zu können, funktioniert nur, wenn man gewisse Kriterien anlegt und die Projekte an diesen bemisst. Grundsätzlich sind fünf Kategorien entscheidend: 1. Auswahlprozess der Freiwilligen, 2. Dauer des Projekts, 3. Kindesschutzmaßnahmen, 4. Kooperation mit lokalen Organisationen und 5. die Nachbereitungsphase. Eine in der Studie von fairunterwegs.org genannte Untersuchung, die 2018 durchgeführt wurde, kommt diesbezüglich auf ein ernüchterndes Ergebnis. Es wurden 50 zufällig ausgewählten Projekte von insgesamt 25 unterschiedlichen Anbietern überprüft und ausgewertet:

1. Auswahl und Vorbereitung der Freiwilligen

Auswahlprozess

  • 76% verlangten keinen Lebenslauf
  • 82% wollten kein Motivationsschreiben
  • 100% verlangten kein persönliches Vorstellungsgespräch
  • 54% verlangten eine Polizeiliches Führungszeugnis

Sprachkenntnisse 

  • 28% hatten keine Informationen darüber
  • 28% erwarteten Grundkenntnisse
  • 4% fortgeschrittene Sprachkenntnisse
  • 38% fließende Sprachkenntnisse
  • 2% warben explizit mit keinen notwendigen Sprachkenntnissen

Dauer der Vorbereitungskurse

  • 1 – 2 Tage: 52%
  • 1 Woche: 16%
  • keine Informationen gegeben: 32%

2. Aufenthaltsdauer

Mindestaufenthaltsdauer

  • 1 Woche: 7%
  • 2 – 3 Wochen: 22%
  • 4 Wochen: 14%
  • 2 – 3 Monate: 4%
  • keine Informationen: 3%

3. Kindesschutz

  • 60% der untersuchten Anbieter haben keinen Verhaltenskodex
  • Nur bei 6 der 50 Projekte musste dieser verbindlich unterzeichnet werden
  • Fast 80% der Anbieter haben keine Kinderschutz-Policy

4. Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen

  • Fehlende Preistransparenz: 48% der Anbieter geben keinerlei Auskunft über die finanzielle Verteilung des Reisepreises an. Wie viel des Geldes also tatsächlicher der Organisation zu Gute kommt, lässt sich nicht herausfinden

5. Nachbereitung

  • Nur bei einem der 25 Veranstalter war eine Nachbereitung, die das geleistete Engagement der Freiwilligen dauerhaft und nachhaltig weiter entwickeln möchte, möglich

Wie Ihr seht, kann sich die Suche nach dem richtigen Veranstalter schwierig gestalten. Die oben genannten fünf Kriterien bieten jedoch sehr gute Anhaltspunkte, an denen Ihr erkennen könnt, ob ein Anbieter seriös und vertrauenswürdig ist sowie im Sinne eines sozial nachhaltigen und gemeinnützigen Engagements agiert. Bei folgenden Punkten solltet Ihr skeptisch werden: Mangelnder Bewerber- und Vorbereitungsprozess, kein Anspruch auf Sprachkenntnisse und Qualifikationen, kurze Projektlaufzeiten, fehlender Hinweis auf Kindesschutzstandards, undurchsichtiges Preismodell und keine Formen der Nachbereitung.

Fazit

Zwei Dinge sind entscheidend, wenn Ihr Euch im Ausland engagieren möchtet: Zum einen Eure eigenen Erwartungen an die Reise, zum anderen den Blick auf den Nutzen, den Eure Hilfe tatsächlich hat. Wer seine Erwartungshaltung kritisch reflektiert und zu dem Entschluss kommt, dass es primär um die Reise an sich als Erlebnis geht, sollte sich ehrlich überlegen, ob diese zwangsläufig mit einer sozialen Tätigkeit kombiniert werden muss. Denn: Es ist absolut legitim, Reisen als Form der Selbstfindung und Erfahrungsbereicherung zu nutzen – auch ohne soziales Engagement. Und dies wird um so dringlicher, wenn die offensichtlich guten Absichten langfristigen Schaden anrichten können. Sicherlich erwächst die Entscheidung ein Projekt im Rahmen des Voluntourismus zu machen aus einer positiv zu bewertenden Motivation heraus. Wie Ihr allerdings erfahren konntet, hat sich aus dem Wunsch, Gutes zu tun, ein regelrechtes Geschäftsmodell entwickelt, dass im schlimmsten Fall zu Lasten derjenigen geht, die eigentlich von unserer Hilfe profitieren sollten. Wenn Ihr Euch zu 100% sicher seid, dass Ihr einen positiven Beitrag zur Verbesserung der Lebensumstände und/oder der Natur leisten und den Fokus der Reise darauf legen möchtet, empfehle ich Euch die potenziellen Reiseanbieter anhand der oben genannten Kriterien zu überprüfen.

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